Im neuen Mikkeller war ich noch nicht, weder Brewdog, Hopfenreich noch andere übliche Craft Beer-Tränken haben mich seit längerer Zeit gesehen. ›Schuld‹ daran ist das »Muted Horn«. Dabei unterscheidet es sich auf den ersten Blick kaum von diesen: »Industrial Look«, der Tresen mit der Zapfhahnbatterie an der rückwärtigen Wand, darüber die große Anzeigewand mit dem Biersortiment. Was macht also diese Bar so anders?
Auswahl & Darreichung
Vieles scheint mir einfach besser (für den Gast!) durchdacht und umgesetzt zu sein. Aus den 22 Hähnen (davon zwei mit Stickstoff betriebene) fließt eine ausgewogene, dabei mit wechselnden Schwerpunkten durchsetzte Auswahl.
Um eine bei diesem Namen nicht ganz fern liegende Metapher heranzuziehen: Das Orchester ist komplett besetzt, vom subtilen Holz (Geuze, Sour, Helle Lager) über mitreißende Streicher (Ales aller Couleur) bis zum schweren Blech (Imperial IPAs & Stouts) fehlt nichts, doch jeder Teil darf sich mal in den Vordergrund spielen.
Das geschieht vor allem mittels regelmäßiger Tap Takeover durch Brauereien, von denen zumindest ich noch nichts oder wenig gehört hatte. Das jeweilige Angebot mag mich sehr ansprechen (»Dieu Du Ciel!«!) oder nicht so, die dahinter stehende Absicht, auch eher unbekannte Pfade des Bieruniversums zu erkunden, ist spannend und hält die Neugier hoch.
Bei rund einem halben Dutzend Besuchen hatte ich nie den (in immer mehr eingeführten Craft Beer-Lokalen immer öfter gewonnenen) Eindruck, dass preiswerte Lückenfüller auf ›Normal‹-Besucher und –Preise abzielen, während die ambitionierteren Sorten verknappt und verteuert werden. Immer standen mehr interessante Biere auf der Karte, als ich an einem Abend vertragen konnte 😉 .
Die Preispolitik ist (bisher) ebenso durchdacht und sinnvoll: Es gibt Bier in 0,3l- oder 0,4l-Gläsern bei Preisen zwischen 4,- und 6,- € (selten etwas drüber). Dazu gibt es die Möglichkeit, Flights mit vier 0,15l-Pröbchen für 8,- € zu bestellen.
Als weiteren lobenswerten Punkt möchte ich ein Detail der tagesaktuellen Klemmbrettkarte anführen: Lässt sich absehen, dass eine Sorte ausgeht, steht bereits dort, was als nächstes an den Hahn kommt. So kann ich zum einen sehen, was vielleicht vordringlich zu probieren ist, zum anderen kann ich mich gegebenenfalls schon auf den Nachfolger freuen. Vorbildlich!
Das soll als erster Blick auf die »Bühne« des Orchesters genügen, doch nun gilt es, nach dem »großen Zampano« zu suchen, der hinter all dem steckt.
Expertise & Ambition
In diesem Fall sind es zwei, Jenia und Corbin aus Vancouver/Kanada. Sie sind seit rund drei Jahren in Berlin und kamen schon mit dem Vorsatz hierher, eine Craft Beer Bar zu eröffnen. Die dortige Szene scheint recht rege und mit vergleichsweise langer Tradition behaftet zu sein; ich weiß nicht, ob die beiden schon dort in dieser speziellen Nische aktiv waren, zumal sie aus meiner Warte auch noch so jung sind.
Aber sie wussten auf jeden Fall sehr genau, was sie wollten, und haben anscheinend auch einen ziemlich ausgearbeiteten Plan, wo sie mit dem »Muted Horn« hinwollen. Mehr kann man in diesem Interview bei den »Hopfenhelden« lesen.
Meinem Eindruck nach »leben« die zwei ihren Laden, sind so gut wie immer am Abend dort, auch wenn sie nicht hinterm Tresen stehen. Das Wort »kuratieren« ist in letzter Zeit in Gastro-Besprechungen ziemlich in Mode gekommen – hier macht es Sinn. Ich hatte in Berlin noch nie den Eindruck, in einer vergleichbar gut kuratierten Craft Beer Bar zu sein.
Zeitgeist & Geselligkeit
Die Sorgfalt der Eigentümer manifestiert sich auch in der Gestaltung der Räumlichkeiten. Natürlich hat das auch viel mit persönlichem Geschmack zu tun, und meinen trifft nicht alles unbedingt. Mir ist es einen Tick zu ’nackt‹, zu ’schattig‹, zu ›hip‹. Ungeachtet dessen zeigen diverse Details das Vorhaben, im hinteren Teil einen Ort für längere, auch gesellige Aufenthalte anzubieten. ›Gemütliche‹ Second Hand-Sitzgruppen und Sofaecken stehen bereit, dazu liegen analoge, echte 😉 Spiele und Bücher aus, letztere wohl auch im Zusammenhang mit der Namensinspiration aus Pynchons »Die Versteigerung von No. 49″.
Inwieweit sich das »Muted Horn« damit im Kiez verankern kann, bleibt abzuwarten, jedenfalls habe ich dort schon mehrfach brettspielende Menschen gesehen; und das ist allemal eine nette Abwechslung zu den einsamen »CB Geeks«, die mit akribisch zusammengestellten Flights und der geöffneten Ratebeer-App im Smartphone am Tresen hocken.
Auch mit der Musik bin ich bislang nicht übermäßig glücklich, die Auswahl könnte schon etwas »kuratierter« sein. Ich habe noch nichts gehört, was mein Interesse erregte. Vielleicht erwarte ich da zu viel und »die Jugend« ist es zufrieden. Zudem scheinen meine alten Ohren immer schlechter Hintergrundrauschen ausfiltern zu können, sodass ich bei einer Unterhaltung in einer Sitzgruppe dauernd auf der Sesselkante sitzen musste, um alles zu verstehen. Klar, Akustikmanagement ist eine komplexe Sache, den einen ist es immer zu laut, den anderen zu leise.
Herausforderung & Hoffnung
Weder die durchweg sehr positive Aufnahme des »Muted Horn« in Lokal- und Fachpresse noch Lobhudeleien wie diese sind ein Gradmesser dafür, ob das Lokal auf längere Sicht erfolgreich ist und bleibt. Der Spagat zwischen der Qualität des Angebotes und dem damit erzielbaren Ertrag ist die zu meisternde Kernaufgabe; diese unvermeidliche Wahrheit hat schon anderen »die Flügel gestutzt«.
Der Aufbau und die Pflege eines ausreichend großen, aber auch gegenüber bierigen Abenteuern offenen Gästestammes hat daher durchaus etwas von einer Gratwanderung: Auf beiden Seiten geht es ziemlich steil abwärts, keine sollte man aus den Augen verlieren.
Das Bespielen der »neuen Medien« wie Twitter & Facebook klappt schon ganz leidlich, dazu gibt es eine Website mit aktuell gehaltener Sortimentsliste, was im Sinne der »Marke« unverzichtbar ist. Jenia ist Mitorganisatorin der Meetup-Gruppe »Taste Berlin«. Ich könnte mir vorstellen, dass das »Muted Horn« auch in der Interaktion mit der »digital community« eine Qualität erreichen kann, die es so in Berlin noch nicht gibt.
Um schlussendlich noch einmal die Orchester-Metapher zu bemühen: Ich wünsche dem gestopften Horn, dass es im Konzert der lauten Tröten mit seinen feinen Melodien bestehen kann!