Ein Wiedersehen mit ›alten Helden‹ wie Boss Hog birgt rund 20 Jahre nach dem letzten Konzert (20.03.1996, Huxley’s Jr.) und 16 Jahre seit der letzten Veröffentlichung schon ein gewisses Risiko. Viele gemachte Erfahrungen lassen einen mit anderen Augen und Ohren durch die Welt gehen (jaja …), Vorlieben und Geschmack haben sich mit den Jahren zumindest teilweise geändert (oder nicht?). Der Zahn der Zeit hat zudem nicht nur an einem selbst, sondern wohl auch an den (einst) verehrten Menschen genagt.
Das SO 36 war am 03.11.2016 bestenfalls zur Hälfte gefüllt. Für mich ideal, so konnte ich in 15–20 Metern Entfernung ohne Gedränge und Einschränkungen bei gutem Sound auf die Bühne sehen. Der Band hätte ich allerdings mehr Zuschauer gegönnt.
Boss Hog haben nichts von ihrer Energie eingebüßt, die Musik ist unverändert treibend, »kickin‹ ass« aktuell, kein bissl staubig geworden. Jon Spencer performen zu sehen, ist weiterhin ein großer Spaß. Immer noch die unvergleichlichen »Ausfallschritt-Sprünge«, das stoische Vor- und Zurückwehen hinter dem Mikrofonständer, das »YEAH!«. Er hat seine recht stylisierte Bühnenpersönlichkeit ohne Einbußen beibehalten (»… like an Elvis from hell on exstasy …« war irgendwo zu lesen). Damit schloss er für mich überaus gelungen an den prächtigen JSBX-Auftritt in der Volksbühne (2010!) an.
Genagt hat besagter Zahn der Zeit an Cristina Martinez sicher nicht, aber die in den Bann schlagende Anziehungskraft des ›Aushängeschildes‹ hat sich irgendwie verflüchtigt. Sehr nette Erscheinung, begeistertes Strahlen, aber sie ist halt kein cooles, verrucht-animalisches Girlie mehr, sondern die 44jährige Mutti eines (bald erwachsenen) Sohnes.
Diese Gefahr hat sie selbst auch schon 2008 erkannt:
- Q:
- Is it challenging to get over the supersexy image you had when Boss Hog started?
- A:
- Yeah, I’ll never be able to live that down. [Laughs] That’s probably the most worrisome thing for me. Sometimes it does make me a little sad. I’m totally aware of the possibility of people being disappointed in me in any way.
Backstage with…Boss Hog’s Cristina Martinez – TimeOut, 08.12.2008
So mit einer Setlist oder anderen fachlicheren Einlassungen kann ich nicht dienen; ich denke mal, die Mehrzahl der Songs stammte von den zwei bekanntesten Alben “Boss Hog” und “Whiteout”. Mir besonders erinnerlicher Höhepunkt: »I Idolize You« mit einem Cristina herrlich anbalzenden Jon.
Das Konzert hat mir eigentlich gut gefallen. Es gibt wenig zu bekritteln, mit etwa 70 Minuten samt Zugabe fiel es eher knapp aus, aber: was soll’s. Nur, irgendwie wollte sich der alte Zauber nicht einstellen, die Begeisterung nicht richtig Fahrt aufnehmen. Vielleicht ist es damit auch vorbei für mich?
Beim Nacharbeiten für diesen Artikel konnte ich mich immerhin meiner Wertschätzung der Band vergewissern, gerade läuft die erste EP, Hammer!
(Soundtrack: Boss Hog: Live @ Union Pool, »Drinkin‹ Lechin‹ & Lyin‹ «, »Cold Hands«)